IRONMAN 70.3 Emillia-Romagna am 18.09.2022 – testen, was noch drin ist!
Zwei Wochen nach der Laktat Party in Locarno stand noch ein letztes grosses Ding an. Eine weitere Mitteldistanz! Ich war mir nicht so sicher, ob das eine schlaue Idee ist, aber warum nicht versuchen. Immerhin musste ich dazwischen nicht arbeiten, es war also genug Zeit für Regeneration und Training. Ich muss an dieser Stelle aber erwähnen: Urlaub bedeutet manchmal ebenso Stress und Spannung für meine Familie, da jeder Tag irgendwie auch aufs Training abgestimmt werden muss. Man denkt immer „im Urlaub habe ich genug Zeit für alles“ und wird schliesslich von der Realität eingeholt. Genug Zeit für alles ist nämlich nie. Irgendetwas kommt immer in die Quere, sei es nur das Wetter. In Summe hat aber alles gut gepasst.
Plötzlich stand alles auf der Kippe!
Wir waren in der Nähe von Cervia auf einem Campingplatz in einem Bungalow eingemietet. Die Gegend war sehr schön, wenn auch etwas in die Jahre gekommen. Das hat man vor allem am Strassenbelag gesehen, aber manch einer würde das mit „typisch Italien“ abtun. Wir waren einige Tage vor dem Rennen bereits vor Ort und hatten zunächst gutes Wetter. Es zeichnete sich jedoch kurzfristig ein grosses Unwetter ab. An diesem Wochenende war zunächst der IRONMAN (Langdistanz) am Samstag vorgesehen, die Halbdistanz sollte dann am Sonntag folgen. Das Unwetter war so stark, dass am Samstag kein Rennen möglich war. Die Stadt sah sehr verwüstet aus, überall waren Bäume fundamental beschädigt, Strassen mit Geäst und Laub übersäht, Autos waren stark beschädigt, zum Teil bis hin zum Totalschaden. Ich konnte mir gar nicht vorstellen, dass überhaupt ein Wettkampf an dem Wochenende stattfindet. Was dann entschieden wurde, war für manche Athleten ein Unding: Man verschob den IRONMAN um einen Tag. Am Sonntag starteten also die Athleten beider Wettkämpfe. Ich dachte, ich lese nicht recht. Mir waren die Implikationen dieser Entscheidung nicht in vollem Umfang klar. Ich fragte mich nur, wie das überhaupt möglich sein kann, da man sicher keine Wechselzone so plant, dass einfach mal so ca doppelt so viele Athleten starten können. Doch es war möglich, zu meinem Erstaunen.
Einige Athleten der Langdistanz erlebten nun aber eine Katastrophe, denn der Check-in musste ebenso für deutlich mehr Athleten ermöglicht werden. Somit liess man die IRONMAN Athleten noch am Samstagabend einchecken. Ich konnte mein Rad im Anschluss (also nachts) einchecken. Die Kommunikation von IRONMAN war nicht optimal, einige waren stark enttäuscht. Ich kann das nachvollziehen, denn die Vorbereitung auf den IRONMAN nicht sehr viel Zeit in Anspruch und viele reisen dafür mehrere 100km bzw. mit dem Flugzeug an und buchen entsprechend Unterkünfte, richten sich zeitlich nach einem gewissen Ablauf ein. Nun musste man neu justieren, den Schlaf vor dem Renntag konnte man getrost vergessen, die Heimreise musste ebenfalls neu geplant werden. So kam es, dass einige nicht starteten.
Die Startunterlagenausgabe verlief ebenso chaotisch. Systemabsturz, stundenlanges Warten, genervte Athleten waren die Folge. Welche Auswirkungen diese Entscheidung auf den Renntag und den Rennverlauf hatte, sehen wir gleich noch.
Schwimmen mit einer Top Zeit!
Nach all der Aufregung konnte der Rennstart selbst wie gewohnt beginnen. Es starteten zunächst alle IRONMAN Athleten. Die 70.3 Athleten starteten etwas verzögert. Das bedeutete, dass wir etwas mehr von der Sonne hatten, als geplant, das ganze Rennen verschob sich zeitlich nach hinten. Ich bereitete noch die letzten Kleinigkeiten in der Wechselzone vor, während der IRONMAN schon voll im Gange war und begab mich dann so langsam zum Schwimmstart. Am Start traf ich noch ein bekanntes Gesicht, Zufälle gibt’s. Wir starteten hintereinander, sahen uns aber danach nicht mehr.
Schwimmen im Meer ist immer etwas anders, als im See. Im Meer wird man raus- und reingetrieben, hat in der Regel deutlich mehr Wellengang (je nach Wetter und Lage) und meistens eher tiefere Wassertemperaturen. Was man aber definitiv nicht unterschätzen sollte, ist das salzige Wasser. Wer gerne ab und zu Wasser schluckt (gerne ist ironisch gemeint), der wird hier schnell an seine Grenzen kommen, denn das ist definitiv nicht förderlich für einen guten weiteren Rennverlauf. Kein Problem für mich.
Nach dem Ausstieg und auf dem Weg zur Wechselzone warf ich einen Blick auf meine Uhr und es zeigte sich die erste positive Nachricht: unter 27 Minuten, wow! Nicht schlecht! Man muss aber auch dazu sagen, es waren sehr wahrscheinlich keine 1900 Meter, sondern etwas weniger.
Machen wir den Lauf schon vor dem Radeln?
Nach einem zügigen Wechsel nahm ich mein Rad und machte mich los zum Halbmarathon. Äh, Moment, Halbmarathon? Fehlt da nicht was? Richtig! Der Weg durch die Wechselzone (mit dem Rad an einer Hand) war so lang, dass ich tatsächlich darüber nachdachte, ob ich später noch mit Leistungseinbussen rechnen muss. Die längste Wechselzone, durch ich bisher laufen musste.
Locarno, die zweite?
Das Ziel war klar: knallen, aber diesmal nicht ganz so viel bums! Soll heissen: Spitzen nach Möglichkeit vermeiden, so selten wie möglich im Roten Bereich drehen und so effizient wie möglich eine vernünftige Leistung abliefern. Die Strecke war dafür sehr gut geeignet, sehr flach mit vielen Geraden. Ich fuhr in einer kleinen Gruppe aus der Wechselzone, die ich auch nicht so schnell zeihen lassen wollte, jedoch keine Lust hatte auf Windschatten und unfaires Fahren. Wie es schien, hatten wir Platz. Es gesellten sich allmählich vereinzelt weitere Athleten zu uns, sodass nach einiger Zeit eine Gruppendynamik unvermeidbar war. Es erstaunt mich immer wieder, wie viele Triathleten den Windschatten von anderen völlig ungeniert nutzen. Fast allen war völlig klar, dass die Radstrecke überfüllt sein wird (IRONMAN + 70.3 = knapp 5000 Radfahrer auf einem 90km Rundkurs) und somit Kampfrichter keine Chance haben werden, solche Vergehen zu ahnden. Mir war das bis zu einem gewissen Punkt nicht klar und ich versuche immer ein faires Rennen zu machen. Das mag blöd klingen, da ich damit kein Geld verdiene und auch sonst nichts ausrichte, aber ich möchte einfach meine persönliche Leistung abliefern und diese dann auch als mein persönliches Ergebnis als Zielzeit in Erinnerung behalten.
Eine steile Rampe gab es auf der Strecke, welche mir auch einiges abverlangt hat. Ich spürte ganz klar noch das Rennen in Locarno in den Beinen, konnte mich aber zurückhalten und keine Dummheiten machen. Ich liess inzwischen einige Athleten ziehen und war auf dem Rückweg Teil einer mehr oder weniger stabilen Gruppe. Ausreissen konnte ich nicht, wie mehrere Versuche zeigten, die mich auch Energie kosteten. Ein letzter Versuch blieb mir vor einer Passage mit mehreren aufeinanderfolgenden Kurven, den ich unbedingt nutzen wollte. Auf keinen Fall würde ich in einer Gruppe wieder die Wechselzone anfahren (Ego lässt grüssen). Energetisch war das absoluter quatsch, denn ich musste mit grösserem Aufwand eine Attacke starten, im richtigen Moment an der Spitze unserer Gruppe vorbeiziehen und mit relativ viel Druck den Abstand vergrössern, welchen ich dann dank der Kurven halten konnte. Letztendlich kam ich alleine – ohne Windschattengruppe – in der Wechselzone an. Ein gutes Gefühl hat seinen Preis.
Insgesamt waren weniger Höhenmeter zu bewältigen, als in Locarno. Dennoch konnte ich die grossartige Zeit aus Locarno nicht überbieten. Falch ist eben nicht immer schnell. Flach bedeutet, dass man immer treten muss. Falch muss man eben auch können. Dennoch mit 02:21h keine Schlechte Zeit für meine Verhältnisse und die Tatsache, dass ich die Halbdistanz in Locarno noch nicht ganz verdaut hatte (Regeneration).
In der Wechselzone musste natürlich – wie immer – das WC angesteuert werden. Das wird allmählich zum Ritual.
Was für den einen ein guter Halbmarathon ist, muss den anderen noch lange nicht glücklich machen.
Ich weiss, was ich von mir erwarten kann. Dennoch habe ich immer einen gewissen Anspruch an mich selbst und ich möchte eines Tages eine gute Zeit beim Laufen zeigen können. Bei diesem Rennen war der Lauf, wie bei vielen anderen auch, einfach nicht das Gelbe vom Ei. Und ich weiss sehr wohl, woran das liegt. Natürlich muss eine gewisse Form im Training sichtbar werden, ganz zu schweigen von der nötigen Stabilität. Es bringt nichts, sich Ziele zu stecken, die man niemals erreichen kann. Deshalb träume ich auch nicht von Weltklassezeiten beim Laufen. Aber ich habe die Hoffnung, dass eines Tages noch dieser Schalter umspringt, der mich auf das nächste Level bringt. Ich bin unter anderem auch überzeugt davon, dass grosse Belastungen, vernünftig regeneriert, eines Tages zu einem Formsprung führen. Das einzige, dessen ich nicht so mächtig bin, ist Geduld. Die ist aber leider unabdingbar und ob ich will oder nicht, ich werde auf diesen Tag warten und ihn dann auskosten.
Ich bin also mit dem Halbmarathon, den ich in Italien jenseits der 01:40h Marke beendete, definitiv nicht zufrieden, nein! Auch musste ich immer wieder gehen und ich konnte gar nicht genug Wasser aufnehmen. Das liegt wohl daran, dass ich auf dem Rad zu viel Energie verbrauche, weil ich eine gute Radzeit haben möchte. Das wird mir beim Laufen zum Verhängnis. Ich muss also noch vernünftiger werden.
Mit dem Gesamtergebnis (Zielzeit 04:42h), vor allem im Kontext des vergangenen Rennens in Locarno (Zielzeit 04:30h) und der unfreiwilligen Krankenhausbesuche, kann ich aber sehr gut leben. Und ich bin überzeugt davon, dass ich inmitten einer Durststrecke bin, die mir menthal und physisch zunächst einiges abverlangt, die ich bereit bin zu gehen und zu überstehen.
Nach dem Rennen fühlte ich mich nicht sehr gut. Leer, entladen, am Ende. Ich konnte mich kaum auf den Beinen halten. Es war jedoch so überfüllt (mit Menschen), dass ich keine Wahl hatte. Es war warm und sonnig und ich wollte nur noch auf ein Bett, um mich auszuruhen.