Chasing Cancellara von Bern nach Andermatt
Am 02.07.2021 stand seit langem mal wieder ein Event auf dem Plan. So richtig offiziell, mit Startzeit, Startnummer, einchecken, Angst-Pipi, Ziellinie und allem, was dazu gehört.
Von Coolness, guten Beinen, bis hin zur Genervtheit, über Schmerzen, Krämpfen und langen Toilettenpausen… Der Tag war lang und hatte vieles zu bieten, nur keine Enttäuschungen. Schön wars und glücklich hat es uns gemacht.
Aus der Not entstanden!
Aus dem Jahr 2020 hatten wir gelernt, Slaven und ich. Einen Haufen Wettkämpfe (Triathlon Wettkämpfe) hielten uns warm und blockieren unsere Kalender für alternative Planungen. Bis wenige Wochen vor den Terminen wussten wir nicht, ob ein Rennen stattfindet oder nicht. Wir hofften und warteten, denn vielleicht ging ja noch was. Ein Rennen nach dem anderen wurde erst verschoben und wieder verschoben und dann fand es doch nicht statt. Bis auf ein Einzelzeitfahren im Vorarlberg, gab es nichts mit Start und Ziel. Ein paar einzelne Veranstaltungen gab es dann doch, irgendwann im Herbst, irgendwo und irgendwie. Aber nicht, was uns gepasst hätte. Jeder hat noch ein Privat- und ein Berufsleben, eigentlich möchte man auch mal ohne Stress und Druck ein paar freie Tage verbringen. Chasing Cancellara von Bern nach Andermatt wurde 2020 das erste Mal ausgetragen. Mit einem Konzept, das funktionierte und überzeugte. Also gingen wir davon aus, dass es 2021 auch wieder funktioniert.
Als Slaven mich fragte, ob ich das mit ihm fahren würde, habe ich direkt zugesagt. Als ich ihn fragte, ob ihm bewusst sei, dass wir beide die ganze Strecke fahren müssen, musst er zunächst kurz überlegen. Ein Hindernis war das aber auch nicht. 210 km mit über 4700 Höhenmeter zu überwinden, war für beide von uns ein sehr Großes und hartes Unterfangen. Nicht unmöglich, aber Neuland. Also waren wir bereits vor dem Jahreswechsel angemeldet und hatten nun ein Ziel vor Augen. Endlich!
Auf der Kippe!
Der Winter war kalt, es gab viel Schnee, mehr als wir gewohnt waren. Da war ans Radeln auf der Straße nicht zu denken. Nicht einmal Laufen war problemlos möglich. Also auf die Rolle, Woche für Woche, bis in den Frühling. Doch dann lief es richtig gut. Man merkt irgendwann, dass man im Prinzip pausenlos durchtrainiert, ohne Reize (durch Wettkämpfe). Dadurch festigt man seine Grundlage etwas besser, es gibt aber auch keinerlei Anhaltspunkte oder Prüfungen, die den aktuellen Stand abfragen. Zudem war ich immer genau zu richtigen (falschen) Zeitpunkt erkältet und musste zweimal einen Leistungstest verschieben, sodass ich seit November 2019 (also seit 20 Monaten) meinen Leistungsstand nicht mehr überprüft habe. In fast zwei Jahren kann sich einiges verändern.
Ende April, zu Beginn einer ca. dreistündigen (geplanten) Ausfahrt mit meinem neuen Rennrad, musste es natürlich passieren: Ein Sturz! Rechtes Schlüsselbei gebrochen, mehrfach! Sowie ich auf dem Boden aufkam, wusste ich: „der ist durch“. Den Bruch habe ich gehört. Kurz mit der linken Hand nachgefasst, jep, gebrochen. So eine Sch…. ! Das Jahr war wohl gelaufen. Krankenwagen gerufen, denn keiner war zu Hause, der mich holen könnte und ich konnte nicht mal selbst aufstehen. Der Knochen war vollständig durchtrennt und hatte sich in der Haut verfangen und dadurch höllische Schmerzen verursacht, bei jeder falschen Bewegung. Schlussendlich musste operiert werden und ich rechnete, wollte es aber nicht glauben, mit mindestens vier bis sechs Wochen ohne sportliche Aktivität.
Ich wollte mir alle Zeit nehmen, die nötig ist. Ich wollte nichts übereilen. Ich wollte nichts machen, was zu viel Risiko bedeutet. Und an all das hielt ich mich auch. Nach der Operation hatte ich praktisch keine Schmerzen. Natürlich tut die Wunde weh und die Heilung braucht Zeit. Danach war ich aber nicht mehr aufzuhalten. Radtrainings auf der Rolle. Absprachen mit der Physiotherapeutin und Lauftrainings hatten mich bestätigt. So war ich nur zwei Wochen stillgestellt und habe SOFORT jede Gelegenheit genutzt, die sich mir geboten hatte. Nach vier Wochen war ich bereits wieder im Pool und versuchte ein paar Bahnen zu kraulen, ging es aber ruhig an. Etwas mehr als sechs Wochen nach der Operation gab mir der Arzt die Freigabe zur normalen Belastung 😊 Dass ich diese längst aufgenommen hatte, lies ich unerwähnt.
Von Start bis Ziel!
Um 03:00 mitten in der Nacht klingelte der Wecker in einem Hotelzimmer des Jardin in Bern, nur wenige Minuten entfernt vom Start im Stadion Wankdorf. Zwei Bier am Abend zuvor hatten zwar dafür gesorgt, dass wir früh genug einschliefen, machten sich zumindest bei mir aber noch ein wenig bemerkbar. Egal, schwitzen wir alle raus!
Startgeländer im Stadion Wankdorf in Bern
Unsere Startzeit war um 04:22, alles war minutiös durchgetaktet, um nicht zu viele Menschen gleichzeitig auf dem Gelände zu haben. Kurz vorher unsere Taschen abgeben, merken, dass keine Zeit mehr war für „Angstpipi“ und ab zum Start. Man muss schon einen Schuss in der Birne haben, in der Dunkelheit irgendwo quer durch die Pampa zu fahren – mit dem Rennrad und mit einigen anderen. Auf den ersten paar Kilometern (ca. 35km) war Windschattenfahren erlaubt, dementsprechend hatte sich ein Grüppchen gebildet und dazu kam noch ein anderes Grüppchen. Das nutzten wir zu unseren Gunsten etwas aus, konnten aber irgendwann nur noch den Kopf schütteln. Man hat 200 km vor sich und knallt sich auf den ersten 30 schon richtig schön die Beine weg, unfassbar. Einige dieser Spezialisten sammelten wir später wieder ein, damit hatten wir gerechnet. Bis Innertkirchen, in etwa 100 km, durften sich die Teams (bestehend aus zwei Personen) gegenseitig Windschatten geben. Wir wechselten uns also im drei bis fünf Minuten Takt ab. So konnten wir in gutem Tempo energieschonend fahren. Ab Innertkirchen ging es langsam ans Eingemachte. Es ging nun in dieser Reihenfolge den Grimsel Pass, gefolgt vom Nufenen Pass und Gotthard Pass entlang. Am Grimsel Pass gab es einen kurzen Halt zur Verpflegung. Die Abfahrt war bitterkalt, böses hatte sich für die folgenden Abfahren angekündigt. Auf dem Nufenen (eigentlich schon viel früher) musste ich eine längere Toilettenpause einlegen, an dieser Stelle danke an Slaven für sein tolles Protein Porridge am Morgen. 😊 Kleiner Tipp an alle Leser: Proteine direkt vor einem Rennen machen sich nicht gut. Nicht, dass ich das nicht wüsste, nach fast elf Jahren Triathlon. Ich hatte mir einfach eingeredet, dass es auf dem Rad ja nicht so viele Schläge gibt, wie beim Laufen und auch nicht so viel Bewegung in der horizontalen Lage, wie beim Schwimmen. Falsch gedacht und wieder einmal hat sich ein Experiment am Wettkampftag als eines zu viel herausgestellt. Es ist mir immer wieder eine Ehre, diese Erfahrung aufs Neue zu machen. Sobald ich also gefühlte zwei kg leichter war, konnten wir auch langsam wieder losrollen. Ach ja, es ging wieder nach unten, warm war auch diese Abfahrt nicht. Und Verkehr hatte es auch, langsamen Verkehr, ich konnte mich fast nicht mehr halten. Irgendwann ist man aber immer im wärmeren Tal angekommen, zog sich die Windweste wieder aus, verstaute sie im Trikot und schwitzte wieder, war ja Sport. Alles während der Fahrt, einarmig, hochkonzentriert und fokussiert!
Der letzte Anstieg, auf den Gotthardpass, stand uns bevor. Im Tessin schien es einfach deutlich wärmer zu sein, wir wurden gegrillt. Noch dazu ging über die alte Tremola Straße nach oben, fast ausschließlich über Kopfsteinpflaster. Erstaunlicherweise hat mich das am wenigstens gestört, bis auf die Vibration, die meine Handflächen fundgescheuert hat, da ich immer ohne Handschuhe fahre. Für beide war der letzte Anstieg aber irgendwo nah an unserem Limit, energetisch gesehen. Slaven hatte immer wieder Schmerzen im Knie, bei mir kündigte sich ein Krampf im hinteren Oberschenkelmuskel an, wo er sich aber nie zeigte. Dafür aber auf der anderen Seite, nämlich rechts auf der Innenseite. Ziemlich grausam, wenn man gerade die letzten Reserven anzapft und noch ein paar Kilometer pausenloses Bergauffahren vor sich hat. Ein Schluck aus der kohlenhydratreichen Flasche hat wahre Wunder vollbracht. Ich muss auch dazu sagen, ich verwende die „Pampe“ von NFT (Nutritional Finetuning), wo ich vor meinem ersten vollen IRONMAN mit Caroline Rauscher meine Wettkampfverpflegung optimiert hatte. Die Kohlenhydrate sind unglaublich schnell im Blut und stehen somit direkt zur Verfügung. Krämpfe haben nicht immer nur mit Magnesiummangel zu tun. Vor allem nach so langer Belastung ist die Zufuhr von schnell verfügbarer Energie die einfachste Lösung.
Gorrhard Pass - Tremola Strasse von oben.
Letztendlich war auch dieser Anstieg irgendwann bezwungen und ich hatte erstaunlicherweise noch Saft in den Beinen und hätte noch weiter machen können. Wir sind immer nah beieinandergeblieben, um miteinander zu kommunizieren und uns gegenseitig zu unterstützen. Slaven hat mich dankenswerterweise immer wieder daran erinnert, etwas Intensität herauszunehmen. Ich wäre sonst vermutlich irgendwann mal durchgebrannt und sicher in ganz anderem Zustand angekommen, evtl. hätte ich unterwegs einen Einbruch erlitten und wäre deutlich später im Ziel gewesen. Das zeigt, das es immer Sinn macht, einen Plan zu machen und diesen auch einzuhalten. Je länger die Distanz, desto wichtiger ist es, große Intensitätsspitzen zu meiden und konsistent und konsequent zu bleiben.
Ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung
Es hat nicht nur gutgetan, mal wieder gefordert zu werden. Es war nicht nur gut für den Kopf, mal wieder an einer Startlinie zu stehen und ein „Rennen“ zu fahren. Die Belastung und die Erfahrungen waren in diesem Fall sehr wichtig für alle noch anstehenden Herausforderungen.
Was habe ich gelernt? Was hat es mir gebracht?
Meine Belastungsempfindlichkeit hat sich sicher stark verbessert. Ich hatte großen Respekt vor dieser Distanz und vor allem von den vielen Höhenmetern. Der Respekt ist immer noch da, aber nicht mehr im Sinne von Angst oder Unbehagen, sondern vielmehr im Sinne von Achtung und Verständnis. Man darf ruhig auch mal den Hut vor sich selbst ziehen. Ich bin in der Lage, größere Belastungen sehr lange auszuhalten und – wie ich nun weiß - sogar etwas länger. Oder eben intensiver. Da ist noch einiges drin, Potenzial ist vorhanden und darauf werde ich aufbauen. Mental bin ich also stärker geworden. Als Training hat dieses Event auch sehr viel zur weiteren Entwicklung beigetragen. Ich würde sogar sagen, ich habe mich auf das nächste Level katapultiert. Somit steht einer tollen Saison nicht mehr im Weg, sofern die aktuelle Lage (Pandemie) dies zulässt.